Vom Alleinkämpfen zum Allianzen-Schmieden: Ein Plädoyer für kollektive Stärke

Einzeln sichtbar, gemeinsam wirksam

Die letzten Jahre haben die Zivilgesellschaft verändert. Viele Organisationen arbeiten unter zunehmend prekären Bedingungen: Förderprogramme laufen aus, Projektlogiken werden enger, Erwartungen steigen. Gleichzeitig wächst der gesellschaftliche Druck – Polarisierung, Desinformation und politischer Gegenwind fordern Kräfte, die ohnehin knapp sind.

In dieser Gemengelage zeigt sich ein klares Muster: Während destruktive Strömungen erstaunlich gut vernetzt, laut und handlungsfähig sind, agieren viele zivilgesellschaftliche Akteure weiterhin nebeneinander – statt miteinander. Es ist an der Zeit, diesen Kurs zu überdenken. Denn die Zukunft der Zivilgesellschaft wird sich nicht daran entscheiden, wer am lautesten ruft, sondern wer sich zusammenschließt.

Warum Allianzen kein „Nice-to-have“ mehr sind

Kooperation galt lange als wünschenswert, aber optional. Heute ist sie aus meiner Sicht strategische Notwendigkeit. Die Herausforderungen, vor denen Vereine, Stiftungen und NGOs stehen, sind komplex und systemisch: Klimakrise, gesellschaftlicher Zusammenhalt, digitale Transformation, soziale Gerechtigkeit. Kein Akteur kann sie allein bewältigen – und doch kämpfen viele Organisationen immer noch isoliert um Sichtbarkeit, Mittel und Relevanz.

Allianzen schaffen, was Einzelne kaum erreichen können:

  • Reichweite und Resonanz: Eine gemeinsame Stimme wird eher gehört – von Öffentlichkeit, Politik und Förderinstitutionen.

  • Ressourcenteilung: Know-how, Infrastrukturen und Netzwerke lassen sich bündeln, statt doppelt aufzubauen.

  • Solidarität: In Zeiten von Anfeindungen, Hetze oder Repression entsteht Schutz durch Zusammenhalt.

  • Wirkungstiefe: Kooperation ermöglicht, Themen breiter, vernetzter und nachhaltiger anzugehen.

Kurz gesagt: Allianzen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern von strategischer Reife.

Das Missverständnis der „Profilwahrung“

Ein Hindernis für Kooperation liegt tief im Selbstverständnis vieler Organisationen: Die Sorge, das eigene Profil zu verwässern. Der Gedanke, dass man sich unterscheiden müsse, um förderfähig oder sichtbar zu bleiben. Doch Profil entsteht nicht durch Abgrenzung, sondern durch Haltung. Und Haltung gewinnt an Kraft, wenn sie geteilt wird.

Das bedeutet nicht, dass jede Organisation ihre Eigenständigkeit aufgeben soll. Im Gegenteil: Allianzen leben von der Vielfalt ihrer Mitglieder – aber sie brauchen ein verbindendes Element: eine gemeinsame Vision von gesellschaftlicher Wirkung. Wer diese gemeinsam definiert, schafft Vertrauen, Orientierung und Zielgerichtetheit – und stärkt letztlich auch das eigene Profil.

Von der Projektlogik zur Bewegungskultur

Viele Fördermechanismen zwingen Organisationen in eine kurzfristige, kleinteilige Denkweise. Doch strukturelle Veränderungen entstehen selten durch isolierte Projekte, sondern durch Bewegungen, Netzwerke, langfristige Kooperationen.

Das erfordert ein Umdenken:

  • Weg von der kurzfristigen Projektlogik, hin zu dauerhaften Partnerschaften.

  • Weg von Wettbewerbsdenken, hin zu Vertrauen und Wissensaustausch.

  • Weg von der reinen Mittelakquise, hin zu gemeinsamer Wirkungsausrichtung.

In der Praxis heißt das: Räume schaffen, in denen Austausch, gemeinsames Lernen und geteilte Öffentlichkeitsarbeit möglich werden. Plattformen, Netzwerke und Community-Formate können dabei als soziale Infrastrukturen dienen – Orte, an denen Ideen wachsen und Solidarität greifbar wird.

Gemeinschaft als strategische Ressource

Die Stärke einer Organisation zeigt sich längst nicht mehr nur an ihrer Bilanz oder ihrem Projektportfolio, sondern an der Fähigkeit, Menschen und Organisationen um sich zu versammeln. Engagierte Communities sind kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis gezielter Beziehungsarbeit:

  • Offene Kommunikation über Ziele und Werte.

  • Beteiligung statt bloßer Ansprache.

  • Gemeinsame Narrative, die Sinn stiften und Zugehörigkeit fördern.

Das gilt nach außen, aber auch nach innen! Mitarbeitende, Freiwillige und Unterstützer:innen werden zu Mitträger:innen einer größeren Bewegung, wenn sie spüren, dass ihr Beitrag Teil eines gemeinsamen Ganzen ist. So entsteht aus Kooperation Kultur. Und aus Kultur entsteht Vertrauen – das wichtigste Kapital der Zivilgesellschaft.

Ein Plädoyer für ein neues Selbstverständnis

Ich beobachte immer wieder: Organisationen, die sich öffnen, vernetzen und gemeinsam lernen, wirken nicht nur resilienter – sie strahlen auch Hoffnung und Gestaltungswillen aus.

Das braucht Mut.
Mut, die eigene Rolle zu hinterfragen.
Mut, Kontrolle abzugeben.
Und Mut, Verantwortung zu teilen.

Aber genau dieser Mut entscheidet darüber, ob die Zivilgesellschaft in den kommenden Jahren reaktiv bleibt, oder gestaltend wird. Allianzen sind keine romantische Idee. Sie sind eine Antwort auf eine raue Realität.

Gemeinsam Richtung Zukunft

Wenn wir über die Zukunft der Zivilgesellschaft sprechen, dann sprechen wir nicht über die Zukunft einzelner Organisationen. Wir sprechen über die Zukunft einer Idee: die Idee von Miteinander, Verantwortung und Solidarität – nicht als schöne Worte, sondern als gelebte Praxis.

Allianzen sind Ausdruck dieser Praxis. Sie machen die Zivilgesellschaft widerstandsfähiger, lauter und wirkungsvoller. Und sie erinnern uns daran, dass wir letztlich alle Teil derselben Aufgabe sind: Gesellschaft zu gestalten, statt sie nur zu kommentieren.

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